COUPS DE CŒUR mit Franziska Riccabona
Franziska Riccabona brachte bei ihrer MUSIK AM MITTAG am 5. September 2021 drei COUPS DE CŒUR von der evangelischen Martin-Luther-Kirche in den katholischen Mariendom – wie schrieb die Evangelische Pfarrgemeinde Linz-Innere Stadt dazu im Vorfeld so schön und treffend von der „gute[n] ökumenisch-kirchenmusikalische[n] Verbundenheit“. Mit ihrer zu Herzen gehenden Musik berührte die evangelische Diözesankantorin das ORGEL.SOMMER-Publikum.
#1: Norddeutschland trifft Italien bei Johann Sebastian Bachs „TAF“
Franziska Riccabona eröffnete ihre MUSIK AM MITTAG mit Johann Sebastian Bachs (1685–1750) Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, BWV 564, einem ihrer Herzensstücke, wie sie im ORGEL.SOMMER-Interview verraten hatte. Für gewöhnlich schrieb Bach seine freien Orgelwerke paarweise – entweder als Kombination aus Toccata und Fuge oder als Kombination aus Präludium und Fuge. In wenigen Fällen fügte er dazwischen noch ein ausdrucksstarkes Adagio hinzu. Berühmtestes Beispiel für diese dreisätzige Anlage ist wohl das von Riccabona musizierte Stück, unter Organistinnen und Organisten gerne als „TAF“ bezeichnet. In ihr lautet das Motto: Norddeutschland trifft Italien!
Die Überlieferung des Werkes setzte erst in den 1720er-Jahren ein, die Anlage des Werkes legt aber eine Entstehungszeit des Werkes in Bachs Weimarer Zeit zwischen 1708 und 1717 nahe. Möglicherweise sind die drei Sätze aber nicht gleichzeitig entstanden – vermutlich wurde die Fuge bereits etwas früher komponiert. Die Toccata besticht durch ihre Vielgliedrigkeit und ist – so der Musikhistoriker George Stauffer – als „hybrid concerto form“ angelegt. Das Adagio zeigt anschließend den „italienischen Bach“, denn der Satz ist ganz nach Art der langsamen Sätze italienischer Violinkonzerte von Albinoni oder Vivaldi gestaltet.
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, BWV 564 | 2. Adagio | Rudigierorgel: Franziska Riccabona
In scharfem Kontrast zum lyrischen Adagio folgt eine spielerisch-heitere Fuge, die durch ihre technisch anspruchsvolle Anlage durchaus herausfordernd für Interpretinnen und Interpreten sein kann, während sie für Zuhörerinnen und Zuhörer ganz leicht klingen soll. Wie auch immer: Kein Ohr (und kein Herz) kann sich wohl dieser brillanten Komposition Johann Sebastian Bachs entziehen.
#2: Variationen zu alter französischer Musik von Jehan Alain
Zum französischen Teil des Programms leitete Franziska Riccabona mit Jehan Alains (1911–1940) Variations sur un thème de Clément Jannequin, JA 118, über. Zwei Manuskriptkopien des Stücks geben als vollständigen Titel Alains „Variations sur l’espoire que j’ai d’acquirir votre grâce, chanson de Clément Jannequin“ (den Komponisten Janequin benennt Alain durchgängig falsch als „Jannequin“) an. Das Thema von Alains Variationen nimmt dabei Bezug auf den vierten der 1529 bei Attaignant erschienenen „31 Chansons“ des französischen Renaissancekomponisten Clément Janequin.
Alain überschrieb seine Komposition aus dem Jahr 1937, die von ihm selbst persönlich im Februar 1938 in La Trinité in Paris uraufgeführt wurde, in der Manuskriptkopie für die Organistin Aline Pendleton mit den Worten: „Cette pièce doit être jouée comme les Préludes dont parlait Couperin … avec fraîcheur et tendresse.“ (Übersetzung: „Dieses Stück muss wie die von Couperin erwähnten Präludien gespielt werden ... mit Frische und Zärtlichkeit.“) Und dem Schweizer Organisten Pierre Segond, Inhaber der zweiten Manuskriptkopie, teilte er in einer Inschrift mit, dass die Kopie nicht schön sei, aber von Herzen (ganz passend zu den COUPS DE CŒUR) komme und die Sprache dabei wenig zähle und nur der Geist spreche.
#3: Trois Chorals als César Francks Vermächtnis
Zum Finale ihrer MUSIK AM MITTAG musizierte die Kirchenmusikerin der Martin-Luther-Kirche in Linz César Francks (1822–1890) berühmten Choral No. 3 en la mineur, FWV 40 („à mon élève Augusta Holmès“). Das Werk weist dabei deutliche Parallelen zu Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge a-Moll, BWV 543, auf, sodass anzunehmen ist, dass in diesem Falle Bach für Franck als Inspirationsquelle diente.
Franck komponierte seine Trois Chorals pour Grand Orgue im Spätsommer 1890 – sie zählen damit neben einigen Stücken für Harmonium zu den letzten abgeschlossenen Kompositionen des Titularorganisten von Sainte-Clotilde. Francks letztes Lebensjahr war nicht nur von Krankheiten, sondern auch von einem schweren Verkehrsunfall, von dem er sich nicht mehr erholte, geprägt – seiner Kreativität und Schaffenskraft tat dies aber keinen Abbruch. Offenbar entstanden die Trois Chorals als Auftragswerk, so erinnert sich Jacques, Sohn des Verlegers Auguste Durand, an die Bitte seines Vaters um neue Orgelwerke von Franck.
Der dritte Choral wurde am 30. September 1890 in Paris vollendet und gemeinsam mit den beiden anderen Chorälen am 2. Oktober 1890 in Francks Wohnung ganz privat – im Beisein von Charles Tournemire und Louis Vierne – uraufgeführt. Kurz vor seinem Tod soll er sich – so berichten Studierende von Franck (u. a. Vincent d’Indy) – noch am 20. Oktober 1890 zu seiner Orgel in Sainte-Clotilde geschleppt haben, um in einer „séance d’orgue“ die Registrierungen für seine Choräle festzulegen. Die Autographe enthalten keine Widmungen, die posthum erschienene Erstausgabe bei Durand eignet die Choräle allerdings Eugène Gigout, Auguste Durand und Augusta Holmès zu, was bei einigen Franck-Anhängerinnen und Franck-Anhängern großes Erstaunen auslöste und für Spekulationen sorgte, ob Francks Sohn Georges gegen den Willen seines Vaters gehandelt hatte. Denn als letztes großes vollendetes Werk nahmen die Trois Chorals im Sinne eines Vermächtnisses einen wichtigen Stellenwert in den Herzen von César Francks Freundinnen und Freunden ein.
Stefanie Petelin
Michael Fenton/unsplash.com/Unsplash License (Sujetfoto) / Dommusikverein Linz/Gerhard Raab (Konzertfotos) / Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Orgelfoto)