Improvisiert!
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber bereichert seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen die Liturgie im Mariendom Linz mit einem „einzigartigen Format“ (Christoph Niemand), den Orgelimprovisationen an der Rudigierorgel über die Perikopen des Tages, in dem „biblischer Text, Homilie und Orgelklang in Dialog“ (ebd.) treten. Bei der ORGEL.LITURGIE unter dem Motto Improvisiert! am 21. Januar 2024 machten Domorganist Wolfgang Kreuzhuber und Domkurat Josef Keplinger einmal mehr die Einzigartigkeit dieses Formats erlebbar. Diakon Peter Schwarzenbacher konzelebrierte bei diesem liturgischen Gesamtkunstwerk.
„Sonntag des Wortes Gottes“: Exegese in Wort und Musik
In seiner Begrüßung betonte Domkurat Josef Keplinger: „Wir feiern die sonntägliche Eucharistie: Im Beten, im Singen, im Hören, im Umgang mit heiligen Zeichen lassen wir uns die Oberfläche und Oberflächlichkeit unseres Lebens aufbrechen und den zeigen, der auf der Suche nach uns ist, der uns ruft, Jesus Christus, der Begegnung mit uns feiern will.“
Am Beginn seiner Predigt führte Keplinger wunderbar in das Konzept des Gottesdienstes ein, indem er erklärte: „Im Jahr 2019 hat Papst Franziskus den jeweils dritten Sonntag im Jahreskreis zum Sonntag des Wortes Gottes erklärt. Dadurch will er einen Akzent setzen, er will auf die fundamentale Bedeutung der Heiligen Schrift im Leben der Kirche und in der Liturgie hinweisen. Vor diesem Hintergrund dürfen wir es als einen stimmigen Akzent verstehen, wenn heute unser Domorganist Wolfgang Kreuzhuber sich in einer ganz besonderen Weise an der Auslegung der Schrifttexte beteiligt und vier Verse aus den Perikopen in Orgelklang übersetzt. Wo das Wort sich in Klang übersetzt, erzählt Gott von sich und von uns in einer ganz eigenen, in einer tiefgehenden, ja zärtlichen Weise …. die frohe Botschaft wird zum ‚Klang-Raum‘, der sich für uns ausspannt, der uns einlädt, einzutreten und sich dort zu bergen.“
Als Gedicht zu diesem Bild rezitierte der Domkurat den Text Am Anfang war das Wort der aus der Bukowina stammenden Dichterin Rose Ausländer (1901–1988) und fasste danach zusammen: „Im Wort Gottes Wohnung nehmen, dort ein Zuhause finden, eine Bleibe … in der Liturgie, aber umso mehr im alltäglichen Leben.“ – Diese Bleibe findet sich auch in Wolfgang Kreuzhubers Improvisationen, sie lassen ein Zuhause finden – wunderbar begleitet von Josef Keplingers Gedanken zu den einzelnen Versen:
„Und Gott sah ihr Verhalten; er sah, dass sie umkehrten [...].“ (Jona 3,10)
Mit der klanglichen Auslegung dieses Verses haben wir heute unser Feiern begonnen. Gott sieht! – nicht nur die Menschen in Ninive damals. Er sieht alle Menschen, auch uns. Dieses Gesehenwerden ist für die biblischen Menschen ein ganz großer Trost.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“, sagt Hagar, die Sklavin Abrahams und Saras. Hagar gibt Gott diesen Namen, weil sie aus ihrer Erfahrung mit anderen weiß, was es bedeutet, nicht gesehen zu werden, links liegen gelassen zu werden. Bertolt Brecht (1898– 1956) dichtet nicht von ungefähr in der Dreigroschenoper: „Die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Bei Gott ist das umgekehrt: Gott sieht gerade die im Dunkeln – sein Volk in der ägyptischen Gefangenschaft, die Sklavin in der Wüste, die, die Schuld auf sich geladen haben und einen Neuanfang wagen. Er sieht die Umwege und Umkehrwege in Ninive und auch heute. Er nimmt Notiz davon. Er bleibt nicht unberührt von dem, was er sieht. Dieses Sehen ist für mich ein anderer Ausdruck für Segen. Und unser Leben braucht diesen Blick – diesen Segen – und darf mit ihm rechnen. Dieser Segen gibt unserem Leben in all seinen Schattierungen eine Wohnstatt, ein Zuhause.
Wolfgang Kreuzhuber (*1957): Improvisation über „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15) | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
„Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15)
Während uns die Kommunion gereicht wird, werden wir zur neuerlichen Hinkehr zu Gott und seiner guten Botschaft aufgefordert: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“ Diese Aufforderung gehört zu den ersten Worten, die Jesus im Markusevangelium spricht. Sie folgen der Heilszusage schlechthin: Jetzt kommt das Reich Gottes zu euch. Reich Gottes – nicht ein Ort oder etwas im Himmel ist damit gemeint, sondern ein Geschehen auf Erden, ein Beziehungsgeschehen mit Gott und untereinander – so wie es sich in jedem Kommuniongeschehen abbildet. Jede Kommunion stellt das angebrochene Reich Gottes zeichenhaft dar und schenkt uns Anteil daran.
Ausdruck und Voraussetzung für diese Beziehung ist die Metanoia, die Umkehr – wörtlich heißt das eigentlich das totale Umdenken, die Sinnesänderung, das Neu- und Größerdenken von Gott, von sich selbst, von den Menschen und das Festmachen des Herzens in dieser neuen Wirklichkeit.
„Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach!“ (Mk 1,17)
Wer sich in diese Beziehung hineinnehmen lässt, wird auf neue Wege geführt. Daran werden wir heute nach dem Schlusssegen der Messe erinnert: „Da sagte er zu ihnen: Kommt her! Mir nach.“
Was das bedeutet, wird uns in der Berufung des Simon und Andreas bzw. des Jakobus und Johannes vor Augen geführt. Sie, die dieser Ruf erreicht, lassen zurück, was für sie bisher im Vordergrund stand, und richten ihr Leben neu aus. Sie richten ihren Blick dorthin, wo Jesus hinzeigt, nehmen „Wohnung“ in seiner Einladung zur Nachfolge und beginnen so, die Welt und die Menschen mit neuen Augen zu sehen. Was könnte denn dieses „Mir nach“ für uns ganz persönlich bedeuten? Harmlos ist es sicher nicht. Hinterlässt die immer wieder gefeierte Liturgie, die immer wieder gehörte Einladung zur Nachfolge, eigentlich Spuren in unserem Leben? Hilft sie uns, die Welt, die Menschen, uns selbst mit neuen Augen zu sehen?
„Die Zeit ist kurz.“ (1 Kor 7,29)
Auf jeden Fall kann und darf die Entscheidung für das Reich Gottes nicht verschoben werden, denn: „Die Zeit ist kurz.“
Tempus breve est: Diese Feststellung aus dem Korintherbrief findet man auf vielen alten Uhren. Bei jedem Stundenschlag sollten Menschen daran erinnert werden. In vielen Bereichen des Lebens sehnen wir uns nach Entschleunigung. Aber im Blick auf die Einladung Jesu brauchen wir eigentlich das genaue Gegenteil – die rasche Entscheidung, die Entscheidung, jetzt die Sache Jesu zu leben.
In dieser Hinsicht „drängt für uns alle die Zeit“, wie wir so schön sagen. Wann sollen wir denn in der Logik des Reiches Gottes leben, wenn nicht heute, jetzt? Von nichts und niemand sollen wir uns so in Beschlag nehmen lassen, dass wir den aus dem Blick verlieren, dessen Gegenwart je neu aufbricht, mitten in unserem Leben. Oder anders gesagt: Wir sind eingeladen, nicht unter unseren Möglichkeiten zu leben und im Blick auf unser Leben wahrzunehmen, was Rose Ausländer an einer anderen Stelle sagt, dass wir als Glaubende „die Zukunft schon geerbt haben und im Jetzt atmen dürfen“.
Geschenke für den Mariendom
Vor dem Segen bedankte sich Domkurat Josef Keplinger bei Domorganist Wolfgang Kreuzhuber in berührenden Worten für dessen Sein und Wirken, gefolgt von kräftigem Applaus der Feiergemeinde im Mariendom: „Dann möchte ich noch im Namen aller Mitfeiernden ein Danke anfügen an Wolfgang Kreuzhuber heute für die klangliche Predigt und einmal mehr sagen: Es ist einfach ein riesengroßes Geschenk, das wir im Dom hier haben dürfen ... immer wieder neu durch den Orgelklang. Wolfgang, Du bist einfach ein ganz großes Geschenk für uns – dankeschön!“
Als „großes und besonderes Geschenk“ betrachtet es auch der nach der ORGEL.LITURGIE sichtlich gerührte Domorganist Kreuzhuber, dass solche Gottesdienstformen im Mariendom möglich sind. „Ich habe die ORGEL.LITURGIE so sehr genossen – es ist wunderbar, wenn man erleben darf, dass Wort und Musik in der Liturgie eines werden ... und das ist mit Josef Keplinger einfach in außergewöhnlicher und hervorragender Weise möglich“, resümierte der Domorganist mit seiner großen Leidenschaft für die Kunst der Improvisation nach der ORGEL.LITURGIE.
Stefanie Petelin
Photography_by_Sebbi/pixabay.com/Pixabay License (Sujet) | Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Fotos der ORGEL.LITURGIE)