Musikalische Grüße aus dem 17. Jahrhundert
Mit der Gottesdienstgemeinde im Mariendom Linz feierte am 22. September 2019 um 10.00 Uhr Bischofsvikar und Dompropst Wilhelm Vieböck.
Zum Einzug des Gottesdienstes musizierte Gerhard Raab an der Rudigierorgel Johann Caspar Kerlls (1627–1693) Toccata VIII. Die Toccata galt im 17. Jahrhundert als wichtigste Gattung der Musik für Tasteninstrumente. Kerlls acht Toccaten sind dabei nach Kirchentonarten gegliedert und nehmen Bezug auf Girolamo Frescobaldis gleichnamige Werke.
Während der Gabenbereitung erklang mit der Canzona VI erneut Musik aus der Feder des aus dem vogtländischen Adorf in Sachsen stammenden Komponisten, dessen Canzonen sich einerseits durch große Spielfreudigkeit, andererseits durch großen Affektreichtum auszeichnen.
Im Fokus: Johann Caspar Kerll
Johann Caspar Kerll (auch von Kerll, Kerl, Kherl, Kerle, Gherl) galt zu Lebzeiten zwar als bekannter Komponist und ausgezeichneter Lehrer (John Hawkins bezeichnete ihn auch noch 1776 als „one of the most skillful and able organists that the world ever produced“[1]), ab dem Ende des 18. Jahrhunderts war er jedoch vergessen, bis er im 20. Jahrhundert von der Musikwissenschaft wiederentdeckt wurde. Kerll darf man wohl als musikalisch „vorbelastet“ bezeichnen, war sein Vater Caspar Kerll doch Orgelbauer und Organist an der Michaeliskirche in Adorf. Seinen ersten Orgelunterricht erhielt der junge Kerll wohl auch bei seinem Vater, bevor ihn seine Ausbildung durch den Habsburger Erzherzog Leopold Wilhelm nach Wien und Rom führte, wo er bei Giacomo Carissimi studierte. Kerll zählt damit neben Hans Leo Hassler, Johann Jakob Froberger und Georg Muffat zu den süddeutschen Komponisten für Tasteninstrumente mit italienischer Ausbildung. Eine Bekanntschaft mit Froberger, der zu dieser Zeit auch in Rom weilte, erscheint naheliegend. In seine Zeit in Wien oder Rom fällt wohl auch Kerlls Konversion zum römisch-katholischen Glauben, die eine wichtige Basis für sein Wirken im süddeutschen und österreichischen Raum darstellte. Kerlls musikalische Biographie führte nach München und Wien, wo er als Hoforganist, vermutlich auch als Organist am Stephansdom und als Lehrer für Tasteninstrumente arbeitete. Aufgrund der Kriegswirren des Jahres 1683 verbrachte Kerll seine letzten zehn Lebensjahre erneut in München, über diese Zeit ist allerdings wenig bekannt. Im Anhang zu Kerlls 1686 veröffentlichtem „Modulatio organica“ publizierte er ein von ihm selbst erstelltes Werkverzeichnis seiner Musik für Tasteninstrumente – dieser Katalog gilt als einer der frühesten gedruckten Werkkataloge eines einzelnen Komponisten. Kerlls Schaffen umfasst geistliche Vokalmusik, Opern sowie Instrumentalmusik, unter der besonders seine Werke für Tasteninstrumente herausragen. In ihnen präsentiert Kerll eindrücklich seine Tonsprache, die mit ihrem hohen Grad an Virtuosität stark von italienischen Einflüssen geprägt ist.
Während der Kommunion interpretierte der Dommusikassistent ein Capriccio in G, FbWV 507 des Barockkomponisten Johann Jacob Froberger (1616–1667). Frobergers Capriccios präsentieren einen Komponisten, der seine Kunst nicht nur perfekt beherrscht, sondern immer wieder zu neuen Höhepunkten führt.
Im Fokus: Johann Jacob Froberger
Gebürtig stammte Johann Jacob Froberger aus Stuttgart, wo sein Vater Basilius seit 1621 als Kapellmeister der Stuttgarter Hofkapelle wirkte. In die Kapelle wurden auch vier Geschwister Johann Jacob Frobergers aufgenommen. Froberger wuchs in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges auf. Einundzwanzigjährig erhielt er eine Anstellung als Organist am Wiener Hof, 1637 folgte eine Studienfahrt nach Italien zu Girolamo Frescobaldi. Wie auch bei Kerll dürfte in die Zeit in Italien Frobergers Konversion zum katholischen Glauben fallen. 1641 kehrte er nach Wien in seinen Dienst zurück. In den folgenden Jahren unternahm Froberger erneut eine Reise nach Italien, auf der er Giacomo Carissimi und Athanasius Kircher besuchte. Seine Rückreise führte über Florenz, Mantua und Regensburg schließlich nach Dresden, wo – so berichtet Johann Mattheson – eine Begegnung besonderer Art stattfand:
„Johann Jacob Froberger, Kaiser Ferdinandi Hoforganist, kam um diese Zeit nach Dresden, und brachte dem Churfüsten ein Kaiserliches Handschreiben. Mein Matthies, sprach der Churfürst heimlich zu Weckmann, wollet ihr mit Frobergern, um eine güldne Kette auf dem Clavier spielen? Von Herzen gerne antwortete Weckmann; aber, aus Ehrerbietigkeit für Ihro Kaiserliche Majestät, soll Froberger die Kette gewinnen. Dieser, nachdem er gespielet hatte, frug gleich nach einem in der Capelle, der Weckmann heißen sollte, der wäre am Kaiserlichen Hofe sehr berühmt, und denselben mögte er gerne kennen. Weckmann stund hart hinter ihm, dem schlug der Churfürst auf die Schulter, und sagte: Da steht mein Matthies. Nach abgelegten Begrüßungen, spielte denn Weckmann auch, und führte ein Thema, daß er von Frobergern beobachtet, fast eine halbe Stunde durch; darüber sich so wohl dieser, als der ganze Hof verwunderte, und Froberger zum Churfürsten mit dem Worten herausbrach: Dieser ist wahrhafftig ein rechter Virtuoser. Beregte beide Künstler haben hernach immer einen vertraulichen Briefwechsel geführet, und Froberger sandte dem Weckmann eine Suite von seiner eignen Hand, wobey er alle Manieren setzte, so daß Weckmann auch dadurch der frobergerischen Spiel-Art ziemlich kundig ward.“[2]
Durch die Bekanntschaft mit William Swann, den Gesandten des Fürsten von Oranien, die Froberger 1648 beim Begräbnis der Kaiserin Maria Leopoldine machte, lernte Froberger schließlich Constantin Huygins, den Sekretär des Prinzen, kennen. Es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden Männern. Musikalische Reisen führten Froberger durch Deutschland, in die Niederlande sowie nach England und Frankreich, wo er Kontakt zu Louis Couperin und Denis Gaultier hatte. Nach einem vierjährigen Intermezzo als Hoforganist in Wien kehrte Froberger schließlich nach Württemberg zurück – Kaiser Leopold I. hatte Frobergers Stelle am Wiener Hof nämlich bei seinem Amtsantritt gestrichen. Froberger starb nach einem Schlaganfall im Schloss Héricourt bei Montbéliard, dem Sitz der musikbegeisterten Herzogin von Württemberg-Mömpelgard. Froberger, dessen Œuvre in erster Linie Instrumentalwerke umfasst, erwies sich als prägend für Komponisten wie Dieterich Buxtehude, Georg Muffat und Johann Pachelbel.
Zum Auszug erklang schließlich das Tiento de registro entero, de primero tono aus der Feder von Francisco Correa de Arauxo (1584–1654) – bald lieblich-zart, bald aufbrausend-leidenschaftlich, überraschend modern. Bei Tientos (vom spanischen „tentar“, also „betasten“, „suchen“ oder auch „verführen“) handelt es sich um fantasieartige Stücke mit variabler Form – eine musikalische Form, die in der iberischen Musik – insbesondere bei Tasten- und Zupfinstrumenten – jahrhundertelang üblich war.
Francisco Correa de Arauxo (1584–1654): Tiento de registero entero, de primero tono | Rudigierorgel: Dommusikassistent Gerhard Raab
Im Fokus: Francisco Correa de Arauxo
Francisco Correa de Arauxo, getauft am 16. September 1584 im spanischen Sevilla, gilt – auch wenn er selbst in Kreisen von Organistinnen und Organisten noch immer wenig bekannt ist – wohl zu den bedeutsamsten Komponisten Andalusiens. Musikalisch befand sich Correa de Arauxo an der Schwelle zwischen Renaissance und Barock. Seine erste Station als Organist führte den Sohn eines Handwerkers ab 1599 – also bereits im Alter von 15 Jahren – an die Kirche San Salvador in Sevilla. Neun Jahre später wurde Correa de Arauxo zum Priester geweiht. Auf mehrere erfolglose Bewerbungen an spanischen Kathedralen erhielt er erst 1636 eine Stelle als Organist an der Kathedrale zu Jaén. Bereits 1640 folgte eine Berufung als Organist an die Kathedrale von Segovia. Dort starb Correa de Arauxo auch im Oktober 1654, er ist in der Kathedrale begraben.
Correas musikgeschichtliche Bedeutung begründet sich vor allem durch seine Orgelschule, dem „Libro de tientos y discursos de musica practica, y theoretica de organo, intitulado Facultad Organica“, das 1626 in Alcalá de Henares publiziert wurde. Neben 69 Tientos, von denen eine Vielzahl für geteilte Register, einer Besonderheit spanischer Orgeln, komponiert sind, und Intabulierungen enthält die Orgelschule auch detaillierte Hinweise zum Orgelspiel und zur Aufführungspraxis seiner Zeit. Correa de Arauxos „Facultad Organica“ gilt daher heute als das wohl wichtigste Kompendium der iberischen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts.
Nachdem Tientos – wie oben bereits angedeutet – der Wortbedeutung nach auch „verführen“ können, verwundert es nicht, dass die feiernde Gemeinde unmittelbar nach Ende des Tientos zu lautstarkem Applaus für Dommusikassistent Gerhard Raab „verführt“ war ...
Anmerkungen:
[1] Hawkins, John (1776): o.A. Zit. nach: Grassl, Markus (2011): Johann Caspar Kerll – die freien Orgelwerke. S. 10–15. S. 10. In: Booklet zur CD „Johann Caspar Kerll / sämtliche freie Orgelwerk“ von Wolfgang Kogert, NCA Music, 2011.
[2] Mattheson, Johann (1740): Grundlage einer Ehrenpforte, woran der tüchtigsten Capellmeister, Componisten, Musikgelehrten, Tonkünstler &c. Leben, Wercke, Verdienste &c. erscheinen sollen. Vollständiger, originalgetreuer Neudruck aus dem Jahr 1910. Berlin: Kommissionsverlag von Leo Liepmannssohn. S. 394–398. S. 396.
Stefanie Petelin
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